In den nächsten Tagen – irgendwann, wenn die Inzidenzzahl in Düsseldorf fünf Tage lang unter 100 verzeichnet wird – kehrt wieder Leben auf die Bismarckstraße ein. Die Terrassen der Gastronomen werden gut besetzt sein, unsere Anwohner und Besucher werden über die Straße schlendern. Die Straße hat eine Geschichte, die wir kurz aufzeigen.
Von Roland Ermrich
Düsseldorf war bis zum Abbruch der Stadtmauern (1801) eine mit 12 000 Einwohnern recht überschaubare Stadt. Sie wurde im Norden vom Hofgarten und im Süden vom Schwanenmarkt begrenzt. Im Westen war es der Rhein und im Osten, schon außerhalb der alten Stadttore, der Stadtgraben und die Mittel-Allee, der heutigen Königsallee.
Nur drei Feldwege führten nach Osten: der Flinger Steinweg (siehe Seiten xyz), die Klosterstraße, und die Pfarrscheidstraße, die heutige Bismarckstraße. Die Pfarrscheidestraße hatte ihren Namen von der Grenze zwischen den Pfarrbezirken St. Dreifaltigkeit (Derendorf) und St. Martin (Bilk). Sie führte zunächst vom Königsplatz- (heute: Martin-Luther-Platz) lediglich bis zur Oststraße. 1877 erfolgt die Weiterführung zwischen Oststraße und Charlottenstraße und 1884 von der Charlottenstraße bis zum Wilhelmplatz (heute: Konrad-Adenauer-Platz). Seit 1875 heißt sie zum Gedenken an den „Eisernen Kanzler“ Bismarckstraße.
Schon damals prägte Kunst und Kommerz das Bild dieser Straße. So rührte ab 1862 Kommerzienrat Dr. Franz Schoenfeld in der Bismarckstraße seine Farben an: Die Lukas Farbenfabrik war bei den Düsseldorfer Künstlern und der Düsseldorfer Malerschule die Bezugsquelle für Aquarellfarben.
Die Errichtung des neuen Hauptbahnhofes (1891) sorgte für einen neuen Push. Ab August 1892 fuhr die Straßenbahn durch die Bismarckstraße zum Bahnhof. Zu Beginn noch als Pferdebahn, wurde sie später elektrifiziert. Als Hauptverbindungsachse in die Innenstadt war diese Strecke der ideale Standort für Hotels und Gastronomiebetriebe – aber nicht nur: Auch Zigarrenhändler, Drogisten, Konditoren, Metzger, Hut- und Kolonialgeschäfte, sowie Juweliere, Konfektions- und Nähmaschinengeschäft waren hier versammelt. Auch eine Wein- und Spielwarenhandlung sowie Schreiner, Drucker und Maler boten hier ihre Dienste an. Jedenfalls steht das im Adressbuch von 18xy. Die Künstlerriege war mit Sängern, Malern, Konzertmeistern, Dirigenten, Rahmen- und Kunsthandel überproportional vertreten. Selbständige Rechtsanwälte, Architekten, Ingenieure und Fabrikanten sowie vermögende Witwen bildeten die Kulisse für eine kaufkräftige Anwohnerschaft.
Dieser mittelständische Mix – die Vielfalt von Kunst und Kommerz – war auch nach dem Ersten Weltkrieg in der Straße zu Hause. Politische Ereignisse überschatteten jedoch rasch die bürgerliche Ruhe. Im Januar 1919 kam es auf der Bismarckstraße zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schießereien zwischen der Polizei und den Anhängern der Spartakisten. Zunächst verfügte ein fünfköpfiger Vollzugsrat der Spartakisten die Absetzung des Oberbürgermeisters Adalbert Oehler. Dann gab es Demonstrationszüge bürgerlicher Parteien und der MSPD, die zu Streiks und zum Widerstand gegen den Vollzugsrat aufgerufen hatten. 13 Menschen wurden dabei getötet und zahlreiche Teilnehmer verletzt. Erst der Einmarsch von Freikorps-Soldaten setzte der Spartakus-Herrschaft ein Ende.
Nach der Machtübernahme der Nazis (1933) wurden auch in Düsseldorf Andersdenkende verfolgt, drangsaliert, verhaftet und verschleppt. Eine grauenvolle und berüchtigte Episode spielte sich im Brauhaus Schlegel, dem SA-Lokal in der Bismarckstraße 44, ab, in dessen Keller brutal gefoltert wurde. Der Düsseldorfer Künstler Karl Schwesig (1898-1955), selbst Opfer, hat später die grausamen Szenen in einer Reihe von 48 Zeichnungen dargestellt.
Mit dem Wiederaufbau nach Kriegsende wurde zunächst auch die vielfältige Struktur von einst wiederhergestellt: Viel Kunst, viel Unterhaltung und Kommerz. So inserierte zum Beispiel 1948 das „RIO – elegante Unterhaltungs- und Speisegaststätte“ (Bismarckstraße 25-27) während hier in den Fünfzigern das das Zimmertheater von Hildegard Bertram logierte. Und Ende der Fünfziger existierte hier ein „Club Okay“.
Die Straßenbahnlinien 15 und 11 sorgten für die optimalen Verbindungen. Im Sommer 1963 eröffnete das „Das Haus des Deutschen Ostens“ (heute: Gerhart-Hauptmann-Haus) auf der Bismarckstraße 62-62. Sein Glockengeläut ertönt zweimal täglich durch das gesamte Viertel; die zahlreichen, ansprechenden Veranstaltungen ziehen viele Besucher an.
Während es Mitte der Sechziger überall aufwärts ging, ging es hier mit dem Viertel abwärts. Nicht mehr als das Entree zur Innenstadt wahrgenommen zu werden, ist bitter. Und so mutierte die Graf-Adolf-Straße von der prächtigen Eingangsstraße zur Kö zu einer Billigmeile. Restaurants und Einzelhandel verschwanden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einmal sorgte der allgemeine drastische Rückgang der Kinobesucher dafür, dass die Straße und damit auch das Viertel nicht mehr so stark besucht wurden. Verstärkt wurde dies durch den Bau der Berliner Allee, die ,1960 eingeweiht, zunächst zur gesuchten Adresse mit vielen Niederlassungen von Fluggesellschaften, modischen Restaurants und eleganten Geschäften wurde. Doch vor allem vernachlässigte die Stadtplanung das Viertel. Im Rathaus hatten Kö und die Innenstadt die besseren Karten.
So veränderte sich auch die Bismarckstraße zum Negativen. Vielfalt und Leben wichen einer teils abstoßend-beängstigender Kulisse. Die meisten Einzelhändler sperrten zu oder zogen fort, die Anwohnerschaft wurde ausgetauscht. Auch die Straßenbahn stellte den Linienverkehr ein. Kurz: die Bismarckstraße wurde Teil des Schmuddel Viertels Bahnhofsumfeld (siehe Seite xyz).
Jetzt will die Stadt diesen Zustand beenden. Laut EKISO-Programm gibt es hier Nachholbedarf. Auf der Webseite der Stadt heißt es, dass sich die Planung zurzeit „noch in der Vorbereitung“ befinde. Im Einzelnen werden die eigentlichen Planungen zurzeit von den Anwohnern, Geschäftsleuten und der Stadt nochmals auf ihre Praktikabilität diskutiert. So wird, trotz oder wegen der damaligen betrüblichen Zusammenarbeit zwischen Anwohnern und Stadt versucht, eine gemeinsame Konzeption zur Verschönerung der Straße zu realisieren. Zudem sind wegen der Corona-Krise die zusätzlichen gastronomischen Außenterrassen bereits installiert worden. Diese Erfahrungen können in die weiteren Überlegungen einbezogen werden
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