Ein Platz, den keiner will wie er ist. Trotzdem ändert sich nichts!

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von Roland Ermrich

Der Worringer Platz ist wieder im Gerede. Diesmal ist der Zaun, den der Pizzabetreiber aufstellte, Grund der Auseinandersetzungen. Wie die Rheinische Post am 13. August berichtete, fühlen sich die „Drogenabhängigen und Wohnungslosen ihres Lebensmittelpunktes beraubt, der Gastronom fürchtet um die Existenz seines Betriebs.“

Das Paradoxe ist, dass beide Befürchtungen berechtigt sind. Der Gastronom wird in seinen Verkauf beeinträchtigt, aber auch die Drogenabhängigen brauchen ein Aufenthaltsrevier. „Düsseldorf für Alle“ darf nicht das Wahlkampf-Motto der Parteien sein, um dann, nach den Wahlen, in der Ablage „Sauberkeit und Sicherheit“ zu verschwinden.

Der Bericht der RP schloss mit dem Hinweis: „Erneute Umgestaltung des Platzes möglich.“ Die Zeitung ging zuvor noch einmal auf die Historie dieses Hotspots ein: „Der Worringer Platz gilt seit Jahren als Brennpunkt. Bereits 2004 wurde er neugestaltet, damals entwarfen Künstler die Bänke aus Glasbausteinen. Kurze Zeit später aber stellten Politiker parteiübergreifend fest, dass der Umbau nicht den gewünschten Effekt hatte. Eine erneute Umgestaltung steht in Aussicht, allerdings noch ohne konkrete Pläne.“

Der Worringer Platz hat seinen Namen seit 1906. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er in den sechziger Jahren die jetzige Gestalt. Die Historie dieses Platztes zeigt, wir haben keine Lösungen gefunden. Der Worringer Platz blieb, wie er sich jetzt darstellt: ein Verkehrsknotenpunkt, der Umsteigeplatz mit entsprechenden Wartezeiten für Benutzer der Rheinbahn und nunmehr vor Allem der Aufenthalts- und „Wohnraum“ für Drogen- Alkoholsüchtige und Wohnungslose.

Als ob das Problem in der Platzgestaltung läge! Das ist nicht das Problem, und dieses sollte mittlerweile auch bekannt sein. Wenn jetzt aber von der Stadt der Vorschlag einer erneuten Umgestaltung ins Spiel gebracht wurde, beweist dies nur, dass sich die Verantwortlichen nicht ausführlich genug mit diesem Thema beschäftigt haben. Denn: Sie können den Platz herrichten, wie sie wollen – an der Struktur seiner Nutzer wird es nichts ändern, und zwar deshalb weil ein grundlegendes Problem nicht professionell genug angegangen wird.

Es geht um das Drogenproblem. Unter der jetzigen Gesetzeslage, welche Drogenbesitz umfassend kriminalisiert, wird jede Kommune ständig nicht änderbare Drogentatbestände berücksichtigen müssen. Dazu gehören in Düsseldorf über 4.000 Drogenkranke, für welche die zentrale Drogenhilfe gegenüber dem Worringer Platz arbeitet. Die Folge: Methadonärzte, Hilfsorganisationen und Obdachlosenschlafstellen richten sich im Viertel ein; hinzukommen mobile Hilfs- und Beratungsstellen wie das „Flinger Mobil“. Und immer dabei sind rund um die Uhr die Dealer, welche als letztes Glied in der Kette des Drogenhandels ihre Kunden versorgen.

Mit Finanzmitteln des Landes wurde im rahmen des EKISO-Projektes der Platz neu gestaltet. Die Bänke mit den grünen Glasbausteinen haben hohe Lehnen.

Die Drogenhilfe ist sowohl personell als auch räumlich nicht in der Lage, die gewaltige Zahl der Abhängigen zu betreuen und zu versorgen. Wer diese Hilfe deshalb nicht in Anspruch nehmen kann oder auch einfach nicht in Anspruch nehmen will, sucht sich seinen „Konsumraum“ auf der Straße. Dies führt zu jenem ekelhaften und für manche auch furchterregenden Erscheinungsbild im Viertel:

Der Stein des Anstoßes ist die Umzäunung, welche der Pizzeria.Betreiber installiert hat. Erst war es lediglich ein rotes Absperrband, nunmehr eine feste Barriere. Eigentlich dürfte hier gar kein Pavillon stehen. Wie es dennoch dazu kam, kann in einem Interview mit der ISG Worringer Platz nachgelesen werden,

Süchtige wählen Hauseingänge – auch der Einstieg in Kellerräume ist zu verzeichnen – als ihren Schlafplatz, versorgen sich dort mit der notwendigen Spritze, hinterlassen oftmals ihre Notdurft – „groß“ und „klein“ – und sind für die Hausbewohner morgens die erste Hürde, die zu übersteigen ist. Schon vor den Öffnungszeiten der Methadonärzte bilden sich vor deren Eingänge Wartetrauben der Drogen-Patienten. Sie blockieren den Zugang zu den anderen Geschäften. Ein Reisebüro hat daraufhin – lange vor den Corona-Schutzverordnungen – bereits kapituliert. Es schloss die Eingangstür  und stellte den Kundenverkehr ein. Seither wird nur per Telefon oder Internet gearbeitet.

Viele Abhängige sind den ganzen Tag allein damit beschäftigt, das Geld für einen Schuss irgendwie zusammenzubringen. Beschaffungskriminalität ist an der Tagesordnung. Die meisten Abhängigen, mit denen wir gesprochen haben, beklagen selbst diesen Zustand. Sie schaffen es nicht, sich von der Sucht zu befreien. In ihren Gesichtern stehen Angst und Verzweiflung.

Dealer belagern die markanten Verkaufsstellen an der Friedrich-Ebert-Straße und dem Hauptbahnhof. Die Verkaufshandlungen werden offen, für jedermann sichtbar, auf der Straße durchgeführt. Ansonsten lungern oder warten sie vor Geschäften und Restaurants.  Kunden und Gäste müssen sich daran gewöhnen oder passieren schnellstens diese Stellen. Hinzu kommt die Straßenprostitution im Bereich der Charlottenstraße.

Der Platz wird durch die Schienen der Rheinbahn geteilt. Auf dem Bild rechts der teil mit Pizzeria und dem Glashaus des Kunstprojektes 2Gasthof Worringer Platz“. Links nur Bäume und einige Bänke.

Für die Bewohner des Viertels ist klar: Es wäre töricht, diese Realität schön zu reden. Scheinbilder helfen nicht weiter. Ein Kind kann die Augen mit seinen Händen bedecken und rufen „Du siehst mich nicht.“ Die Politik sollte dies lassen. Seit Jahrzehnten lebt dieses Viertel mit diesen Bildern. Es gab zahlreiche Gespräche zwischen Politik, Verwaltung, Polizei, Ordnungs- und Gesundheitsamt, Drogenhilfe sowie den Anwohnern und Geschäftsleuten. Daraufhin gab es mal verstärkten Polizei-Präsenz, doch änderten die Dealer ihre Verkaufsrouten. Nach kurzer Zeit stellte sich das gewohnte Bild wieder ein. Politik und Verwaltung hatten das Thema aufgegeben. Wurden in Wahlkampfzeiten die Kandidaten zu diesem Thema befragt, hieß es meist: „Wir müssen schlüssige Konzepte erarbeiten.“

Am Sonntag Nachmittag – 15.8.21 – ein friedliches Bild. Nur wenige Besucher, die sich hier aufhielten.

Schlüssige Konzepte sind in den letzten Jahrzehnten von der Politik und Verwaltung nicht entwickelt, geschweige denn realisiert worden. Das Viertel ist sich selbst, den Hilfsorganisationen, den Streetworkern, der Polizei und dem Ordnungsamt überlassen worden. Es gab erfolgversprechende Versuche, die Prostitution einzuengen, indem weniger die Prostituierten als deren Freier ins Visier genommen wurden und bei der Staatsanwaltschaft dafür eine Extra-Stelle eingerichtet wurde. Das Ordnungsamt sorgte mit Platzverboten, dass die sichtbare Drogenszene teilweise aus dem Viertel verschwand. Dies war wegen einer Gesetzesänderung vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nicht mehr möglich. Die Polizei hat seitdem die Möglichkeit der Platzverweise, wendet sie aber nicht an. Vielmehr argumentiert sie, dass es sinnvoll sei, die Szene im Bahnhofsvor- und -umfeld zu belassen. Dort habe sie einen besseren Überblick.

Auch auf der Seite der Pizzeria waren Am Sonntag Nachmittag nur wenige Besucher und Wartende auf die Rheinbahn

Dies wiederum steht vollkommen im Gegensatz zu den Versuchen des Stadtplanungsamtes, das Bahnhofsumfeld zu revitalisieren. Sie sei das „Tor zur Innenstadt“, wie auch die „Visitenkarte“ Düsseldorfs, sagt das Amt. Doch in den städtischen Planungen kommen Drogenabhängige und Obdachlose nicht vor. Dort geht es um den „vielfach sanierungsbedürftigen Geschossbau der 1950er bis 1970er Jahre, der durch eine Nutzungsmischung (Ladenlokale im EG, Büro- und/oder Wohnnutzung in den Obergeschossen) geprägt“ ist. So kann er „seine innerstädtische Funktion als moderner und hochwertiger Standort für das Wohnen, Arbeiten und Einkaufen nur unzureichend erfüllen.“ Entsprechend zeigen die Planungsergebnisse der beauftragten auswärtigen Agenturen hochwertiges Stadtmobiliar, zum Beispiel die grünen Glasbänke auf dem Worringer Platz.

Wenn Anwohner vorschlagen, die Drogenszene zu verlegen wird ihnen geantwortet, „dann sei sie ja woanders“. Das ist richtig. Denn durch eine Verdrängung werden die Abhängigen nicht weniger. Irgendwo müssen sie sich aufhalten können. Ein Beispiel dafür gibt der Immermannhof. Hier hielten sich viele Abhängige auf, weil dort ein großes Hochbeet zum Verweilen einlud. Also wurde dieses Hochbeet – mit den vom Land NRW zur Verfügung gestellten EKISO-Geldern – zu einem übersichtlichen Platz umgestaltet. Die Abhängigen zogen nun vom Immermannhof zum Worringer Platz, der auch mit EKISO-Geldern dem fiktiven hochwertigen Umfeld angepasst wurde.

Das Kunstprojekt “Gasthof Worringer Platz” mit einem dort installierten Glashaus.  Hier finden seit acht Jahren Ausstellungen, Lesungen, Performances, Filmvorführen und Rauminstallationen statt, alles immer unter Beteiligung der Anwohner und Passanten. Die nächsten Bilder unten zeigen einige Beispiele.

Die Anwohner im Viertel scheinen ziemlich resilient zu sein. Sie beschweren sich auch deshalb nicht oft, weil es bei 70 Prozent Ausländeranteil oft Sprachschwierigkeiten gibt. Außerdem wollen ausländische Geschäftsleute nicht so gerne bei den Behörden „anecken“, wie sie im Gespräch mit uns betonten. Beschwert sich dennoch jemand, nicht nur einmal, wird er schnell zum Querulanten abgestempelt. Die Anwohner sind keine Hardliner, die mit radikalen Argumenten, wie sie u.a. in den Sozialen Medien zu lesen sind („das Gesocks wegsperren!“), hantieren. Sie wissen um die Probleme und die Karriere ihrer Drogenabhängigen, die ihre Aufenthaltsplätze in Beschlag nehmen. Sie argumentieren auch nicht mit dem Heiligen Florians („Egal, wo die Abhängigen hinkommen, Hauptsache nicht zu uns“). Doch eines lässt sich sagen: Sie vermissen ein schlüssiges und nachhaltiges Konzept, das entsprechende Handeln der Politik, um die Szene zu entzerren, indem andere, zusätzliche Plätze für die Abhängigen geschaffen werden. Unser Resümee: Das Problem Worringer Platz wird nicht mit einer neuen Inszenierung dieses PLatzes gelöst.

Es gibt eine Reihe interessanter Vorschläge, die in vielen Einzelgesprächen immer wieder angetippt werden. Dazu gehört auch der Vorschlag, die Drogenhilfe zu dezentralisieren. Die Fixierung auf diese eine Adresse zieht zwangsläufig den gesamten „Markt“ an.

Eine Kunstaktion auf dem Worringer Platz

Aber auch noch andere negative Erscheinungsformen sollten endlich mal angepackt werden. der Vorschlag, Leerstände für kreative und soziale Zwecke zwischen zu nutzen, wie er von den Parteien übereinstimmend propagiert wird, steht bislang leider nur in den Wahlprogrammen.

In öffentlichen Gesprächsrunden wird schon mal von verantwortlichen Politikern argumentiert, dass nicht der Konsum Richtschnur unserer Planungen sein darf. Vielmehr seien multifunktionale Orte, Räume für unterschiedliche Nutzungen gefordert. Zu den Nutzungen gehören Wohnen, ebenso wie Handel, Gastronomie, Kultur und Bildung. Jedesmal, wenn ein Rathaus-Politiker diesen Vorschlag macht, kann er sich heftigen Beifalls aus dem Publikum sicher sein. Beifall, heißt es, sei der wahre Lohn der Künstler. Mit anderen Worten: Wir benötigen aber politisch verantwortungsvolles Handeln.

Filme | Dinge | Gespräche mit Beiträgen von Bita Razavi, Jedsada Tangtrakulwong, Julien Crepieux, Laurits Svendsen, Meng Huang, Taiyo Kimura Während der Vorbereitungen zu Twenty Foot Equivalent Unit  (TEU) wurden von REICHRICHTER täglich ab 17 Uhr eine Teestunde abgehalten. Beim Table Talk Tea wurden im Gespräch mit Passant/innen und Gästen Antworten auf die Fragen gesucht, was Kunst ist, sein kann oder sein sollte.


Die einzige Diamorphinpraxis in unserem Viertel, die längst über das Erprobungsstadium hinaus ist und beste Erfolge vorweisen kann, wird allseits gelobt. Beim Lob bleibt es. Vielleicht ist es eine Milchmädchenrechnung: Wenn wir fünf bis sechs derartige Arztpraxen hätten, wäre die Lage viel entspannter. Aber darüber ist anscheinend auch noch nicht nachgedacht worden. Ebenso über „Aufenthaltsräume“, die auch für Kommunikation, Diskussion und Gedankenaustausch geeignet sind, ohne dass sie gleich zu Konsumtempel mutieren. Richtig ist, dass dies – wollten wir das alles verwirklichen – nicht von heute auf morgen realisiert werden kann. Nur: Wer keinen Startschuss hört, kann auch nie ans Ziel kommen.

Und schließlich gibt es seit acht Jahren das Kunstprojekt „Gasthof Worringer Platz“ mit einem dort installierten Glashaus.  Hier finden Ausstellungen, Lesungen, Performances, Filmvorführen und Rauminstallationen statt, alles immer unter Beteiligung der Anwohner und Passanten, auch vom Kulturamt der Stadt gefördert. Die Akteure dieses Projektes haben reichhaltige Erfahrungen über das Leben auf und die Möglichkeiten mit diesem Platz. Sie sind noch nie für Diskussionen über die Zustände des Platzes angesprochen worden. Das Planungsamt und die Wirtschaftsförderung haben aus einem Sofortprogramm der Landesregierung NRW für das Bahnhofsumfeld Gelder bekommen, um unter anderem „das Grundverständnis für eine lebendige Innenstadt und lebendige Zentren neu zu justieren“.  Die erste Online-Konferenz fand fast ausschließlich unter dem Blickwinkel „Einzelhandel“ statt. Drogenhilfe, ISG Worringer Platz, Gasthof Worringer Platz waren erst gar nicht eingeladen.

TILO&TONI / TILO&TONI GERATEN IN SCHWIERIGKEITEN Jahr 2019 ILO&TONI Veranstaltung uf dem Worringer Platz ist alles zu viel:  zu viel Lärm, zu viel Verkehr, zu viel Verlorenheit. Um mit solch schwierigen Umständen fertig zu werden, eröffnet das Künstlerduo Tilo&Toni mit Ihrer Buchpublikation „Tilo&Toni geraten in Schwierigkeiten“ Übergänge in ein Paralleluniversum. Ihre Fotocollagen verleiten zum Fortspinnen wahrnehmbarer Wirklichkeiten ins phantastisch Unmögliche. Eine Fähigkeit, die Erwachsene zumeist verloren haben. Sie wiederzugewinnen lohnt sich, weil darin der Mut zur Veränderung wohnt.

Damit alle Parteien noch einmal ins Gespräch kommen, soll es nun einen Runden Tisch geben. Das hatte Bürgermeister Josef Hinkel (CDU) nach dem Streit auf dem Worringer Platz angekündigt. Sitzen demnächst alle Beteiligten an einem Runden Tisch werden sie sich nicht mit dem Argument zufriedengeben, dass in Zukunft alles besser wird. Hic Rodos, hic salta wird die Devise lauten. Keine leichte Aufgabe für Josef Hinkel, die Politiker und die Verwaltung, wenn nur die Gestaltung des Platzes und sonst nichts im Fokus steht.
Am letzten Sonntag sah es friedlich auf dem Worringer Platz aus. Die Pizzeria-Seite war fast leer, die „Bewohner“ waren auf der anderen Seite. Eine Teilung war allerdings noch nie eine gute Idee.

ZO-ON SLOWS AKA. ECHO HO Jahr 2015 ECHO HO Hallraum Klang Echo Ho lebt in Köln und ist Künstlerin und Komponistin. Ihre Arbeiten weisen auf einen komplexen durch Migration geprägten Kontext und verbinden kulturell diverse Materialien mit künstlerisch interdisziplinären Mitteln. Als Musikerin arbeitet sie mit Field Recordings, experimentellen elektroakustischen Kompositionen und Liveperformences in Kooperationen mit Musiker/innen aus aller Welt.

Aber vielleicht ändert sich die übergeordnete Gesetzeslage. Im Zeitalter der allgemeinen Disruption ist auch dieses Szenario möglich. Es stammt zwar von Milton Friedman aus dem Jahre 1991, ist aber aktueller denn je.
 

Wir werden weitere Artikel zu diesem Thema kurzfristig an dieser Stelle veröffentlichen.


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