Die Drogenhilfe // Ein Interview mit Michael Harbaum

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Serie: Drogen und die Folgen im Viertel

Wir leben gerne in unserem internationalen Viertel. Einträchtig zusammen mit fast 15.000 Menschen aus 148 Nationen auf engem Raum von nur 1,3 Quadratkilometer. Trotzdem wird manchmal der gesellschaftliche Zusammenhalt auf die Probe gestellt. Zum Beispiel durch die Nutzer des Worringer Platzes. Dies liegt nicht an der Gestaltung des Platzes, wie manche Vertreter aus Politik und Verwaltung vorgeben. Es liegt daran, weil ein grundlegendes Problem unsere Gesellschaft von der Politik und Verwaltung nicht professionell genug angegangen wird. Es geht um das Drogenproblem unter der jetzigen Gesetzeslage. Wir publizieren zu dieser Thematik Artikel, die sich aus unterschiedlichem Blickwinkel mit diesem Thema befassen. Erschienen sind bislang: Ein Platz, den keiner will wie er ist. Trotzdem ändert sich nichts! und Wieder: kein Platz am Worringer Platz

Das Interview

Ein Verein zur Hilfe für Menschen mit einer Suchterkrankung in der Nachbarschaft, klingt nicht gerade nach Stadtteilidylle. Stigmatisierende Bilder, wie offene Nadeln, alkoholisierte oder vollkommen desolate Menschen prägen die Vorstellungen. Michael Harbaum, Sozialpädagoge, seit über 16 Jahren im Verein tätig und leitet seit 2016 die Düsseldorfer Drogenhilfe e.V. Mit ihm sprach unsere Mitarbeiterin Melissa Christov,

Michael Harbaum

D-Mitte: Herr Harbaum, wie können Menschen mit Suchterkrankung und Bürger in einem Kiez zusammenleben?

Harbaum: Grundsätzlich vollkommen unkompliziert. Der Bürger denkt bei Menschen mit einer Suchterkrankung direkt an Kriminelle. Doch oftmals steht die einzige Straftat im Zusammenhang mit dem Konsum – eine, die sie an sich selbst verüben und die aus meiner Sicht im Übrigen keine Straftat sein sollte. Denn der Konsum an sich ist nicht strafbar! Alles drum herum, also Kauf, Abgabe und Annahme von BTM, etc jedoch schon. Das macht es quasi unmöglich zu konsumieren ohne sich dabei strafbar zu machen.

D-Mitte: Geht eine Gefahr von diesen Menschen aus?

Harbaum: Nicht mehr als von jedem anderen Menschen auch. Die Sucht macht sie nicht per se gefährlicher.

D-Mitte: Was passiert im Menschen nach dem Setzen der Spritze?

Harbaum: Das kommt ganz darauf an, was der Inhalt der Spritze war. Der eine lacht viel, der andere redet viel. Es gibt aufputschende Substanzen, die für eine lange Wachperiode sorgen und dämpfende Substanzen, die wiederum eher ruhig und zufrieden machen.

D-Mitte: Plätze wie der der Worringer Platz, der Bertha-von-Suttner-Platz oder Mintropplatz sind nicht gerade immer schön anzusehen. Warum treffen sich die Menschen gerade an offenen Plätzen, wo viel Verkehr ist?

Harbaum: All diese Plätze sind zum einen verkehrstechnisch gut angebunden und liegen zum anderen in der Nähe von Substitutionspraxen. Zudem kommt die Nähe zum Hauptbahnhof, der klassisch in allen Großstädten die Drogenszene anzieht. Und natürlich sind auch wir als Drogenhilfe eine Anlaufstelle. Wobei wir erst nachträglich dazu gekommen sind, genau weil es hier eine große offene Drogenszene gab. Letztlich gibt es vor Allem keine anderen Plätze, an denen sie geduldet werden. Diese Plätze haben sich dann etabliert. Wir sehen das kritisch und mit Sorge, da mit der großen Menge von Menschen, die sich tagsüber an einem Ort aufhalten entsprechende Konflikte entstehen und dann eben das Zusamenleben mit Anwohnenden und Geschäftinhabenden eben nicht mehr unkompliziert ist.

D-Mitte: Nun gibt es hier im Quartier eine Menge solcher Punkte, die Menschen mit Suchterkrankung herzieht, wie könnte man dies entzerren?

Harbaum: Indem die Stadtplanung Räume für diese Menschen mit einkalkuliert. In jedem Land, in jeder Stadt gibt es Menschen mit Suchterkrankung. Ich selbst denke, dass ein Stadtteil immer von seiner Vielfalt lebt. Eine zu große Ausprägung von einer Gruppierung ist nie gut. Zu viele reiche Menschen an einem Ort sind ebenso wenig divers, wie zu viele arme. Die Frage ist nur, wie man genug Diversität in alle Stadtteile bringt, um die üblichen bekannten Plätze so auf die Stadt zu verteilen. Zudem muss man aber auch hinzufügen, dass nicht alle Menschen, die sich am Worringer Platz aufhalten unsere Klienten sind. Dort treffen sich auch andere so genannte Randgruppen.

D-Mitte: Was genau ist denn die Aufgabe der Drogenhilfe hier im Stadtteil?

Harbaum: Wir haben einerseits die Überlebenshilfe. Hier bieten wir Schlafmöglichkeiten für 21 Menschen und einen Konsumraum, für einen beaufsichtigten Konsum. Es gibt hier ein Café, mit einem Computer mit Internetzugang und Hilfe bei Wohnungsangelegenheiten. Die Menschen können hier duschen und neue Kleidung bekommen. Dies trägt schon sehr zum Stadtbild bei. Wir haben auch eine Ambulanz für eine medizinische Grundversorgung – allerdings sind hier leider keine Ärzt*innen tätig. Wir machen klassische Streetwork, fahren mit dem Bus raus und versuchen so, diejenigen zu erreichen, die nicht in die Einrichtung kommen. Wir haben eine Drogenberatungsstelle für alle Fragen rund um Drogenkonsum und Drogensucht – von den Gelgheinheitskonsumenten*innen, die ihren Konsum reduzieren möchten oder Sorge haben, in die Sucht abzurutschen über Eltern, die bei ihren Kindern irgendwelche Substanzen finden bis zur Therapievermittlung. Zu den anderen Angeboten zählt z.B. eine Selbsthilfegruppe für Angehörige, die oftmals schwer betroffen sind, sich die Schuld zuweisen und sich hilflos fühlen. Darüber hinaus bieten wir Suchtvorbeugung an und haben eine Abteilung für Alltagshilfen in der eigenen Wohnung.

D-Mitte: Wie kann ich mir einen Konsumraum vorstellen und wieso gibt es so etwas?

Harbaum: Der Konsumraum bietet einen beaufsichtigten Konsum mit namentlicher Anmeldung. Es ist immer ein Sanitäter vor Ort. Nadeln und andere Hilfsmittel werden sofort entsorgt und landen nicht auf der Straße. Durch verschiedene Bauprojekte werden die Menschen in den letzten Jahren zunehmend aus ihren dunklen Ecken verdrängt und beginnen öffentlich zu konsumieren. Dies ist weder im Sinne der Bürger*innen noch der Konsument*innen. Ordnungspolitisch haben wir den Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass die breite Öffentlichkeit so wenig wie möglich sichtbar mitbekommt. Wir haben in den letzten Jahren einen erheblichen Anstieg der Konsumvorgänge verzeichnen können, was wiederum zeigt, dass unser Angebot gut angenommen wird. Mittlerweile sind die Kapazitäten oft erschöpft und wir können nicht alle, die hier konsumieren wollen, einlassen.

D-Mitte: Was würden Sie sich von den Menschen hier im Stadtteil wünschen?

Harbaum: In erster Linie Verständnis für die Menschen, Sucht ist eine medizinisch anerkannte Krankheit. Keiner braucht sich vor diesen Menschen zu fürchten, sie anders zu behandeln oder seine Höflichkeitsfloskeln ihnen gegenüber zu vergessen. Oftmals hilft der normale Umgang unseren Klient*innen enorm. Das Gefühl nicht nur außerhalb der Gesellschaft zu stehen, kann vielen auch Antriebskraft geben. Nicht jede*r Konsument*in war schon immer ganz unten. Viele haben bis zu einem Punkt einen erfolgreichen Karriereweg zurückgelegt, der dann irgendwann in eine Sackgasse führte. Andere wiederum haben kaum vorstellbare Dinge erlebt, die sie zu kompensieren versuchen.

D-Mitte: Wie kann man in diesem Feld für mehr Aufklärung sorgen?

Harbaum: Die Frage nach einem Tag der offenen Tür haben wir besprochen und wollen 2 Mal im Jahr einladen uns zu besuchen. Wir sehen vor allem die Nachbarschaft als Ziel[1]gruppe, die wollen wir zuerst ansprechen. Wenn das gut läuft können wir das ggf auch erweitern.

D-Mitte: Mit Blick auf 2020 – wie hat die COVID-19 Pandemie die Arbeit beeinflusst?

Harbaum: Wie die Meisten wurden wir ziemlich kalt erwischt und mussten uns sehr schnell und immer wieder umstellen. Mittlerweile haben wir ein gutes Hygienekonzept und arbeiten auch in der Krise routiniert. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass wir alle sehr angestrengt sind. Insbesondere in der Überlebenshilfe und bei den Hilfen zum selbstständigen Wohnen haben wir keinen Tag Pause gehabt. Wir haben trotz der neuen Anforderungen durch gearbeitet – der Drogenkonsumraum zum Beispiel hatte, wie Café und Notschlafstelle auch, keinen Schließungstag. Und es ist uns gelungen, die gleiche Anzahl an Plätzen weiter anzubieten, indem wir einen Teil des Konsumbereichs ausgelagert haben. So können die Besucher*innen die Abstände einhalten und der öffentliche Raum wird nicht noch weiter belastet. Für die Mitarbeitenden war und ist das aber eine enorme Belastung weil die Anforderungen hierdurch noch einmal steigen. Der Konsum muss ständig überwacht werden. Im Innenhof haben wir erst Pavillons und zum Winter hin ein Zelt aufgebaut. Das soll die Möglichkeit bieten, sich außerhalb des öffentlichen Raums aufzuhalten. Natürlich ist das Zelt nicht geschlossen, sondern teils geöffnet, wir beheizen es mit Wärmestrahlern. Auch das soll unsere Besucher*innen und das Umfeld der Einrichtung entlasten.

D-Mitte: Und was steht für 2021 an?

Harbaum: Zum Jahresbeginn haben wir mit der Beschäftigungsmaßnahme „Die WegRäumenden“ begonnen. Für Menschen mit Drogenabhängigkeit gibt es in Düsseldorf wenige Möglichkeiten ihren Alltag zu strukturieren und darauf liegt daher 2021 ein Fokus: Angebote, die so niederschwellig sind, dass die Anforderungen gering genug sind. Darauf auf[1]bauend wieder Vertrauen in sich selbst erlernen und Erfolge erleben. Wir bauen hier hausintern auch um, damit wir einen großen Raum für Gruppenangebote schaffen können. Und natürlich die Erweiterung des Drogenkonsumraums. Wir brauchen mehr Konsumplätze, hierfür müssen wir bauen. Das sind wohl die beiden größten Projekte. Ebenso wichtig ist aber z.B. der Umzug der Suchtprävention in neue Räume – die Beratung ist bereits im Dezember umgezogen. Das war uns wichtig, um die Zielgruppen zu trennen. Es ist also einiges zu tun!

Das Interview führte Melissa Christov

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