Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung!

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Dieter Schwerdtle: Joseph Beuys pflanzt den ersten Baum der „Aktion 7000 Eichen“ am Rand des Friedrichsplatzes vor dem Museum Fridericianum am 16.03.1982 Credit:
documenta archiv / Foto: Dieter Schwerdtle

Zum 100sten Geburtstag von Joseph Beuys haben die Künstler Jenny Trautwein und Tomasz Piwarski ein besonderes Geschenk vorbereitet. Mit ihrer „Eichenaura“ bringen sie 100 Original Eichenableger aus Kassel in die „Park-Kultur“. Damit kann sich auch Düsseldorf – fast 40 Jahre später – an Beuys Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ anschließen. In der Ausstellung „Eichenaura“ präsentieren beide Künstler ihr Vorhaben. Die Ausstellung wird vom 5. bis 19. Juni in der Park-Kultur gezeigt – am Samstag 17 Vernissage, Anmeldung erforderlich. Informationen in den Sozialen Medien und in unserer Terminübersicht.

1982 schlugen in Kassel zur 7. Dokumenta die Wellen hoch. Der Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys pflanzte auf dem dortigen Friedrichsplatz ein Eichenbäumchen, dem eine Basaltstele zur Seite gegeben wurde. Einzeln betrachtet war das eine wenig spektakuläre Kunstaktion – wenn da nicht die große Idee gewesen wäre, die auf erheblichen Unmut in der Bevölkerung Kassels stieß.

Die Idee: 7.000 Eichen sollen in Kassel gepflanzt und neben jedem Baum soll eine rund ein Meter hohe Basaltstele gesetzt werden. Die Steine ließ Beuys zu Beginn der Aktion vor dem Kasseler Fridericianum auf der Wiese aufhäufen, wobei eine keilförmige Fläche belegt wurde. Ein ebenso gewagter wie listiger Einfall: Siebentausend Steine als Mahnung an alle Beteiligten, die Aktion voranzubringen. Am Schwund der Basaltstelen ließ sich ablesen, wie weit man war, wie viele Bäume im Stadtgebiet angepflanzt worden waren

Die Steine ließ Beuys vor dem Fridericianum aufhäufen. Eine listige Idee:  Am Schwund der Basaltstelen ließ sich ablesen, wie weit man war, wie viele Bäume im Stadtgebiet angepflanzt worden waren. Foto: Dieter Schwerdtle

Da kam manches explosiv zusammen: Ältere Bürger fühlten sich angesichts des Basaltsteinhaufens in der guten Stube der Stadt an das zerbombte Kassel nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert; die Stadtverwaltung sah große praktische Probleme, sogar die Verkehrssicherheit sei gefährdet

Unter solcher Vorgabe war das Aktions-Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ zur Besänftigung nicht geeignet. Hinzu kam die Angst des Einzelhandels und der Bürger vor tausendfachem Parkplatzverlust. Grauen ging um.

Aber Beuys begeisterte viele Helfer. Jeder konnte für fünfhundert Mark eine Baumpatenschaft übernehmen. Eine Auktion von gestifteten Kunstwerken brachte Geld in die Baumkasse. Pünktlich zur nächsten Dokumenta schloss sich der Kreis, der siebentausendste Baum wurde neben den ersten gesetzt. Da war Beuys schon tot.

Jetzt, knapp 40 Jahre später, sieht die Sache anders aus, nämlich: grüner. Niemand, der die vorher-nachher-Bilder jener Kasseler Straßen sieht, in denen die Beuys-Bäume gepflanzt wurden, wird bestreiten, wie sehr sich die Stadt dadurch gewandelt hat.

Und wer eine ganze Stadt langsam mit Grün flutet, der denkt in größeren Dimensionen als die eines Menschenlebens. Kein anderes Kunstwerk von Joseph Beuys steht so unmittelbar einleuchtend da für das, was er eine „soziale Plastik“ nannte. Das Projekt war im Hinblick auf die allgemeine Verstädterung eine umfangreiche künstlerische und ökologische Intervention mit dem Ziel, den urbanen Lebensraum nachhaltig zu verändern. Das anfangs umstrittene Projekt hat sich zu einem stadtbildprägenden Bestandteil der Stadt Kassel entwickelt. Es verbindet künstlerische, soziale und ökologische Ideen unauflöslich zu einem Symbol des Lebens. Um dieses zu erhalten ist eigens die „Stiftung 7000 Eichen“ gegründet worden. Sie unterstützt die Stadt Kassel bei den Verpflichtungen, die sich aus dem großherzigen Geschenk von Joseph Beuys herleiten und insbesondere bei der Pflege der auf Dauer und in ihrer Gesamtgestalt zu erhaltenden Großskulptur „7000 Eichen“.

Zur gleichen Zeit, als die 7.000ste Eiche eingesetzt wurde, pflanzte eine Gruppe Kunststudenten demonstrativ auf dem Grünstreifen einer sechsspurigen Straße nebenan die 7001ste Eiche. Die Planungsgemeinschaft  Landschaft + Freiraum GbR, die das Projekt maßgeblich begleitete, schrieb: „Mit dieser spontanen Aktion wiesen die Studierenden  auf die Notwendigkeit hin, über den Tod von Beuys hinaus, seine Vision und Vorstellungen für ein Denken und Handeln zugunsten einer ökologischen, verantwortungsbewussten Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffes fortzuführen.“

So übertrug sich das Kunstwerk „7000 Eichen“ als soziale Skulptur von Kassel ausgehend weltweit: Es wurden Baumpflanzungen „Beuys zu Ehren“ von Tokio bis New York durchgeführt. Und in diesem Jahr startet die Stadt Wiesbaden eine Aktion 7.000 Eichen für Wiesbaden.

Die einzige Eiche in Düsseldorf heute 2021. Foto: Tomasz Piwarski

In Düsseldorf, der Heimatstadt von Joseph Beuys steht nur eine einzige Eiche. Und dies auch nur. weil der damalige Vorstandsvorsitzende der Westdeutschen Landesbank im Dokumenta-Jahr 1982 dem Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Reimut Jochimsen, diesem Eiche geschenkt. Im Beisein von Joseph Beuys wurde die Eiche in der Haroldstraße 4 eingesetzt.

Diesen Mangel an Beuys Eichen in Düsseldorf wollen die beiden Düsseldorfer Künstler Jenny Trautwein und Tomasz Piwarski mit dem Projekt „Eichenaura“ beheben. Sie besuchten letztes Jahr Kassel und fanden eine Unmenge an Eicheln vor. Sie haben viele Eicheln der Beuys Bäume gesammelt, großgezogen und aus Ihren Kappen eine Farbe hergestellt. Nun suchen sie Baumpaten, um den Nachkommen der Beuys Eichen ein Heranwachsen zu ermöglichen. Im Unterschied zu den vielen weltweiten Baumpflanzaktionen zu Ehren von Beuys geht es den beiden darum, die Original-Ableger der Beuys-Bäume aus Kassel, sie nennen sie liebevoll „Beuys Babies“, zu verbreiten, nicht nur in Düsseldorf. Jenny Trautwein erläutert hierzu: “Wir wollen sowohl mit den Bäumchen als auch mit unserer Eichenfarbe die kreative Schönheit der Natur sichtbar werden lassen, ihr Raum schenken.“ Gleichzeitig laden sie Künstler ein, sich mit der Eichenfarbe kreativ auseinanderzusetzen. Die Kunstwerke der Künstler werden Ende September in der Düsseldorfer Galerie „THE BOX“ ausgestellt.

Einhundert „Beuys Babies“ werden in der Park-Kultur mit Beginn der Ausstellung „Eichenaura“ potentiellen Baumpaten angeboten. So kann mit dem Erwerb eines Eichenbäumchen dieses Kunstprojekt unterstützt werden. Diese Aktion der einhundert Eichenbäumchen ist eine Hommage an den Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys anlässlich seines einhundertsten Geburtstages. Aber gleichzeitig auch ein Beitrag zur Verbesserung des Klimas in unserer Heimatstadt.

Für den Verein „Düsseldorfs Vielfalt Erleben e.V.“, der Träger der „Park-Kultur“, ergibt sich daraus eine Vision: Wenn aus den 100 Eichenbäumchen sogar 7.000 Eichen werden, dann hat der von der Landespolitik verstoßene Kunstprofessor als weltbekannter Künstler mit seiner Aktion der „sozialen Plastik“ unsere Heimatstadt zum Wohle eines Naturraumes verbessert. Auch dies gehört zu seinem erweiterten Begriff von Kunst.

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