Im Gespräch mit D-Mitte: Der Kunstvermittler Martin Leyer- Pritzkow

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Viele Künstler haben ihre Ateliers, Galerien und Ausstellungsräume in D-Mitte. Zwischen Bahnhofs- und Japanviertel wird gemalt, performt und präsentiert, teils zum Broterwerb, teils auch, weil die Personen gar nicht anders können. Sie alle stehen für den kreativen Geist, der im Zentrum der Stadt oftmals erst auf den zweiten Blick erkannt wird. Einige von ihnen wird D-Mitte vorstellen und mit ihnen unter anderem darüber sprechen, wie viel Spielraum der Kunst im Viertel eingeräumt wird. Heute sprechen wir mit dem Kurator und Kunstvermittler Martin Leyer-Pritzkow

D-Mitte: Wie kommt eine Ausstellung zu Stande? Können auch Künstler gezielt auf Sie zukommen oder bevorzugen Sie es, wenn derjenige bereits über ein gewisses Renommée verfügt?

Der Kurator und Kunstvermittler Martin Leyer-Pritzkow

Martin L.-P.: Ich suche mir die Künstler selbst aus, zuweilen gibt es zwar Empfehlungen, aber da ist selten jemand bei, von dem ich nicht schon einmal gehört habe. Sie müssen sich vorstellen, dass der Markt für zeitgenössische Kunst ein Mikrokosmos ist, in dem jeder jeden kennt. Aber es gibt selbstredend viele Künstler, die gerne bei mir ausgestellt werden würden, allerdings bevorzuge ich es, meine Ausstellungen und die Künstler selbst zu wählen.  Es gibt keine festen Öffnungszeiten, weil ich mich als „Offroom“ sehe – also zwischen Museum und Galerie angesiedelt. Ich öffne nur nach Terminvereinbarung. Wer zu mir wegen der Kunst kommt, der kommt auch zu mir nach Hause.  Wer mich kennt, weiß das in der Regel. Hin und wieder stand schon mal jemand vor verschlossener Tür, weil er die Daten eines Eröffnungsabends durcheinandergebracht hat. Das klärt sich meist schnell auf und der Frust ist dann überschaubar.

D-Mitte: Sie sind als freier Kurator tätig geworden, nachdem Sie Ihre bisherige Karriere eher in wirtschaftliche Bereiche geführt hatte. Wie typisch sind solche – mit Verlaub – „Quereinstiege“ in der Kunstlandschaft? Kann im Prinzip jeder unabhängig von der Berufsausbildung oder einem Kunststudium mit genügend Rücklagen und den richtigen Räumen erfolgreich Ausstellungen leiten?

Martin L.-P.: Ja, auf jeden Fall. – Ob er erfolgreich ist, ist dann schon etwas anderes. Dafür bedarf es viel. In der Kunstvermittlung ist es nämlich noch anders als im wissenschaftlichen Bereich. Diejenigen, die zeitgenössische Kunst vermitteln, haben oft keine wissenschaftliche Kunstausbildung. Anders ist es, wenn jemand Museumsarbeit leisten möchte, dort ist ein kunsthistorischer Abschluss unabdingbar, auch wenn es inzwischen in Zusammenarbeit mit der Hochschule auch ein Kuratorenstudiengang gibt.

D-Mitte: Anknüpfend an die erste Frage: Ab wann gilt jemand als Künstler, der es wert wäre, bei Ihnen in Ihrem Offroom präsentiert zu werden?
Martin L.-P.: Er muss herausragende Kunst machen, was aber nicht zwingend bedeutet, er müsse akademische Kunst machen. Nehmen Sie Adolf Bierbrauer, Nachbar und Zeitgenosse von Joseph Beuys in Düsseldorf-Oberkassel, dessen Werk ich betreue.  Er arbeitete lieber abseits der Öffentlichkeit und wurde bei der Kunstakademie anfangs abgelehnt, ehe man ihm später noch mal die Aufnahme anbot. Woraufhin er die Ausbildung übrigens nach zwei Jahren selbst abbrach. Dennoch präsentiere ich sein Werk, weil es absolut außergewöhnlich und einmalig weltweit ist.  Mir geht es um die Inhalte in der zeitgenössischen Kunst. Es muss die Chance zum Diskurs provozieren, bevor es im Museum oder beim Sammler im Keller landet. Es heißt nicht, dass die Werke gefallen oder gar schön sein müssen. Wenn mir Besucher beispielsweise sagen, dieses oder jene Bild sei nicht nach ihrem Geschmack, dann informiere ich darüber, dass der Künstler die Kunst zunächst für sich macht und nicht für den Rezipienten. Es geht nicht nicht darum, etwas bedienen zu wollen oder gar zu müssen.

„Nature“ mit Fabrizio GazzarrI bis 14.1.2018

D-Mitte: Düsseldorf hat allein innerstädtisch mehr als 15 Galerien bzw. Kunsthandlungen zu verzeichnen, wie besteht man bei dieser Wettbewerbslage? Gibt es überhaupt Konkurrenzdruck hier im Viertel?
Martin L.-P.: Da ich als Kunstvermittler und Kurator international  mit
ausgewählten Künstlern arbeite, empfinde ich im Viertel oder in der Stadt keine Konkurrenz. Zeitgenössische Kunst wird international kommuniziert und oft auch lokal vermittelt. Der Wettbewerb geht um Aufmerksamkeit und Präsentationsformen. Um Regionalität geht es im Bereich der Weltkunst schon lange nicht mehr. Es gibt nur sehr viele unterschiedliche Märkte. Sie reichen von der E-Kunst über die U-Kunst bis zur reinen Dekoration oder Entertainment. Heute wird schnell alles, was ein bisschen anders aussieht, als Kunst bezeichnet. Da gibt es geradezu eine Begriffsinflation, die profane Dinge aufwerten soll.

D-Mitte: Was würden Sie einem (jungen) Künstler raten, der Düsseldorf-Mitte zu seinem Lebens- und Schaffensmittelpunkt machen möchte? Wer könnte ihm die nötige Plattform und Unterstützung bieten?

Martin L.-P.:  Das Kulturamt hat ein Kontingent an bezuschussten Ateliers, allerdings nur in begrenzter Zahl. Ansonsten muss man selbst sehen, wo man bleibt und sich umhören. Das Problem in der Kulturpolitik ist an der Stelle auch schlicht der Eindruck, dass Kunst keine Arbeitsplätze schaffe und dementsprechend auch keine sinnvollen Investitionen erforderlich seien. Viele haben beim Künstler noch immer denjenigen vor Augen, der allein in seinem Kämmerlein vor sich hin malt. Wahr ist jedoch, dass jemand wie Imi Knoebel beispielsweise ein Team von 10 oder 20 Leuten  nebst diversen Vorleistern hat und auch zahlreiche andere Künstler einen Mitarbeiterstab nutzen. Es wäre also durchaus ratsam, den Blick auf die Kunst als Branche zu richten, an der Arbeitsplätze hängen und vor allem, die zunehmend mehr schafft.

Vergangene Ausstellung mit Armin Baumgarten . Figur in Landschaft, 100 cm x 150 cm, Öl auf Leinwand, 2017

D-Mitte: Flingern gilt vielen noch immer als das Kreativenviertel der Stadt, dabei sind in Mitte inzwischen genauso viele Kulturvereine, Ateliers, Galerien und Werkstätten zu finden. Was macht Mitte für Sie so attraktiv?
Martin L.-P.: Die zentrale Lage ist großartig, dass ich hier praktisch alles fußläufig erreichen kann, außerdem das großstädtische Flair, an dem es Düsseldorf in den Stadtteilen zuweilen mangelt. Flingern ist im Übrigen mittlerweile ausgereizt. Durch die Gentrifizierung sind die Kulturschaffenden da schon wieder abgewandert.  Es gibt ja kaum noch günstige bezahlbare Fläche dort.

D-Mitte: Sie haben selbst fast zehn Jahre lang an der Accademia di belle arti di Venezia gelehrt, einer der renommiertesten Kunsthochschulen Italiens, deren Anforderungen an die Studieninteressierten sehr hoch sind. Auch an der Düsseldorfer Kunstakademie werden jährlich etliche Bewerber abgelehnt. Inwiefern bedeutet eine Studienablehnung das Aus für das eigene künstlerische Schaffen? Oder anders ausgedrückt: Von der Kunstakademie abgelehnt und trotzdem als Künstler erfolgreich – auf wie viele der Ihnen bekannten Künstler trifft das tatsächlich zu?
T Martin L.-P.: Tatsächlich fällt mir gerade nur Adolf Bierbrauer ein, der sich ja zusätzlich die ersten 80 Jahre der Öffentlichkeit verweigert hat. Ich will aber nicht ausschließen, dass dies auch auf andere Künstler zutrifft, wenngleich diese eher die Ausnahme bilden.

D-Mitte: Wie viel Freiraum und Unterstützung gewährt die Stadt den Kunstschaffenden hier im Viertel aus Ihrer Sicht?
Martin L.-P.: Zu wenig. Ich kann das an einem einfachen Beispiel festmachen: Als Thomas Geisel gewählt wurde, sprach er in der Zeitung davon, dass man sich um eine Zwischennutzungsagentur bemühen werde, die der freien Szene Räumlichkeiten zuteile, die temporär leer stünden und bis zur neuerlichen Vermietung nach Belieben künstlerisch genutzt werden könnten. Davon hat man danach nie wieder was gehört. Ich habe diesbezüglich selbst noch mal telefonisch nachgehakt, aber sein Assistent wusste seinerzeit nicht einmal, dass Herr Geisel diese Aussage getätigt hatte. Das fasst den Umgang mit den Kulturschaffenden in der Stadt recht gut zusammen.

mine stream –  Stefan Ettlinger

D-Mitte: Wie sieht der typische Tag des selbstständigen Kurators aus? Frecher formuliert: Wie viel Arbeit braucht es, um von Ihrer Tätigkeit leben zu können?
Martin L.-P.: Man muss sehr diszipliniert sein, mein Handy ist praktisch nie aus, wenn also jemand um zwei Uhr nachts anruft und Interesse bekundet, werde ich auch um diese Uhrzeit auf seine Anfrage oder Nachricht reagieren. Die Geschichten von Golf spielenden, in Saus und Braus lebenden und vor lauter Freizeit gelangweilten Galeristen, Kunstvermittlern und Kuratoren sind beliebte Märchen. Wer in der Branche tätig ist, weiß, dass es harte Arbeit ist, denn, wenn ich beispielsweise auf eine Ausstellung oder eine feierliche Eröffnung oder zu anderen Anlässen gehe, bin ich immer noch im Dienst, weil ich Kontakte knüpfe oder anderweitig geschäftlich involviert bin. Es ist somit intensiver als das, was sich die breite Masse unter dem Job vorstellt, da ich ja nie Freizeit habe. Es gibt immer eine Kunstebene, sozusagen, und wenn ich einmal Urlaub habe, muss ich wie jeder andere Selbstständige entsprechend vor- oder nacharbeiten. Kurzum: Alles, was ich tue, muss ich für mich und die Kunst tun.

D-Mitte: Der Kurator ist laut Duden (wissenschaftlicher) Leiter eines Museums, einer zoologischen Sammlung, einer Ausstellung o. Ä. Wie würden Sie Ihren Beruf definieren? Sind Sie Kunstvermittler, Betreuer, Berater oder Manager?
Martin L.-P.: Ich betrachte den Begriff Kurator gerne etymologisch. Er entstammt dem Lateinischen, wo der Begriff „curare“ sich kümmern für oder sorgen um steht. Genau das macht auch meinen Beruf aus, denn ich vermittle ja nicht nur die Kunst der Künstler, mit denen ich zusammenarbeite, sondern ich betreue auch die Menschen, die hinter den Werken stehen und bin ihnen menschlich sehr verbunden. Es ist somit auch eine stark zwischenmenschliche Ebene dabei, wenn ich beispielsweise für einen meiner Künstler da bin, der privat gerade vielleicht irgendein persönliches Problem hat.  Gleichzeitig bin ich Vermittler und Ausstellungsmacher und muss die Kunst in die Welt bringen. Allerdings bin ich kein Consultant, das heißt, ich gehe nicht gezielt für Auftraggeber auf die Suche nach bestimmten Kunstwerken. Ich bestimme selbst, was ich zeige und koordiniere meine Ausstellungen thematisch, wie es auch der Kurator einer Institution täte, nur dass ich nicht durch eine hausinterne Politik oder Budgetverpflichtungen eingeschränkt werde. Unter OB Elbers hieß es zeitweilig ja, zwei gute Ausstellungen im Jahr im Museum Kunstpalast würde das Publikum überfordern. Dies als Alibi für Budgetkürzungen.

Jörg Paul Janka: 5.5. – 11.6.2017

D-Mitte: Welcher Aspekt Ihrer Arbeit erfüllt Sie am meisten?
Martin L.-P.: Das ist eine schöne Frage. Mich erfreut am meisten, schöne Ausstellungen zu machen und herausragende Kunst zu zeigen, die eine eigene authentische Sicht auf die Welt zeigt.

D-Mitte: Ist Kunst ein kostspieliges Hobby oder könnte der Otto Normalverbraucher sich auch eines der bei Ihnen ausgestellten Werke leisten?
Martin L.-P.: Durch mich ausgestellte Kunst können sich vielmehr Menschen leisten, als diese vermuten. Qualität ist keine Frage des Preises. Sehen Sie es so, dass ein guter Künstler immer auch Werke schafft, die auch, weil sie beispielsweise eine Auflagenarbeit ist, viel preisgünstiger sein kann. Es gibt bei mir durchaus Werke, die im dreistelligen Bereich liegen und erschwinglich sind. Ich bin ja selbst der Ansicht, dass Kunst für jeden wichtig ist und einen elementaren Bestandteil unserer Gesellschaft ausmacht, da wäre es nicht zielführend, das Ganze in eine exklusive Sparte zu drängen. Kunst sollte zugänglich und erfahrbar bleiben.

D-Mitte: Wann findet die nächste Veranstaltung bzw. Ausstellung bei Ihnen statt?

Martin L.-P.: Die nächste Ausstellung wird Ende Februar mit Werken des zeitbasierten Medienkünstler Ralf Berger sein. Wir arbeiten erst seit diesem Jahr zusammen und ich freue mich auf eine spannende Ausstellung. Die Eröffnung wird nur für geladene Gäste sein, da die Räumlichkeiten sehr begrenzt sind und wir die private Ebene nicht verlassen wollen. Ich habe keinen öffentlichen Auftrag, sondern nur das Interesse den Diskurs über die Kunst unserer Zeit zu erweitern.

 

Das Interview führte Miriam Fest

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