Das Jahr 1951 war für die Familie Terzioglu aus Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste ein Jahr von ganz besonderer Bedeutung. Nicht weil es von großen weltpolitischen Ereignisse überschattet war (auf der koreanischen Halbinsel tobte ein Krieg, US-Präsident Harry Truman verkündete das Ende des Kriegszustandes mit Deutschland, während die Türkei und Griechenland der NATO beitraten), sondern weil in diesem Jahr der junge Maschinenbauingenieur Hasan Cakir Terzioglu in Düsseldorf bei Mannesmann seinen Job antrat – zehn Jahre bevor das »Anwerbeabkommen« zwischen Bonn und Ankara unterzeichnet wurde, und lange bevor der Begriff »Gastarbeiter« kreiert wurde.
Bei Sinan Terzioglu ist der Stolz zu spüren. Das ist auch kein Wunder, denn Hasan Cakir Terzioglu war sein Opa. Sinan hat es aber nicht in die Konstruktionsbüros und Montagehallen getrieben. Wir treffen ihn in seinem Restaurant in der Graf-Adolf-Straße 60. Trotzdem ist der Alte, obwohl schon fast 70 Jahre seit dessen Auswanderung vergangen sind, hier überall präsent. »Schwarzes Meer«, so der Name des Restaurants, ist nicht nur ein Hinweis auf Trabzon, die Hafenstadt am Schwarzen Meer, es ist natürlich auch eine Hommage an den Vorfahren, der damals – in einem ebenfalls unruhigen Jahr – diesen großen Schritt gewagt hatte.
Der Enkel zählt zur »Dritten Generation«. Doch mit der Bezeichnung von Migrationsexperten und Statistikern kann Sinan Terzioglu nur wenig anfangen. Viel mehr fühlt er sich als »echter Bilker Junge«, und sagt das auch: »1985 in Düsseldorf geboren und hier mit zwei Schwestern zusammen aufgewachsen.« Auch sonst keine besonderen »Auffälligkeiten«: Städtische Katholische Grundschule St. Michael (Lierenfeld), dann die Schule an der Brinckmannstraße. Mit dem Abitur in der Tasche zog es ihn zum Studium in die Ferne: Boston (US-Bundesstaat Massachusetts). Dort studierte er von 2003 bis 2007; der Abschluss: Business Administration – für einen ehrgeizigen jungen Düsseldorfer mit internationalen Visionen eine ganz normale Station.
Die Väter- und Großväter-Generation hatten da ganz andere Vorstellungen und Möglichkeiten. Natürlich war sein Großvater damals nicht nach Deutschland gekommen, um nur kurz zu bleiben, Geld verdienen und dann wieder in die Türkei zurückzukehren. Er blieb und holte sieben Jahre später seine Frau nach Düsseldorf nach – die klassische Einwanderer-Story aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Und dennoch war es ein Leben in zwei Welten. Sinans Vater gründete hier eine Familie, das erste Kind, eine Tochter, wurde 1960 geboren. Es wuchs in Düsseldorf auf. Geheiratet hatte die junge Frau aber 1984 in der Türkei. Düsseldorf in Deutschland, das war für die Großeltern und Eltern eine Wahlheimat. Hier lebten sie, hier arbeiteten sie in unterschiedlichen Branchen als Selbständige, hier zahlten sie Steuern. Aber die Türkei ist ihr Vaterland. Da wollten sie am Ende wieder hin.
Es ist dieses Ding mit den zwei Welten, das sich vor allem bei alljährlichen Besuchsfahrten in die Türkei offenbarte. Diese Reisen wurden von den Großeltern nicht bei »Alltours« gebucht, das Reisebüro hieß »Heimweh und Sehnsucht«. Eigentlich verbrachten die Großeltern ihren Urlaub nicht in der Heimat, in Wahrheit suchten sie im Urlaub ihre Heimat, sagt Sinan.
Für die Enkel-Generation dagegen stand Nostalgie nie auf dem Reiseprogramm. Für sie war und ist die Tour in die uralte Hafenstadt jedes Mal ein exotischer Trip – und schon früher mit das spannendste an den Schulferien. Kein Wunder, dass es bei Rückschau gravierende individuelle Unterschiede gibt: während für die ersten beiden Generationen die Türkei eine sehr emotionale Angelegenheit zu ein scheint, fühlt sich die dritte Generation – auch in der Konfrontation mit den eigenen Wurzeln – als Teil von Deutschland. Dieses dokumentiert auch den Rückzug der Alten: Vor zehn Jahren gingen die Großeltern und vor vier Jahren die Eltern zurück in die Türkei.
Sinan Terzioglu wird in Deutschland bleiben. »Deutschland ist meine Heimat, aber es ist nicht die Heimat meiner Eltern und Großeltern, mein Leben ist hier«, erklärt er und fährt fort »die Eltern leben wieder in der Türkei, sie haben aber uns Kindern alle Freiheiten und Möglichkeiten für ein deutsches Leben gegeben, dafür bin ich ihnen dankbar«.
Ob diese liberale Haltung allerdings zu den gängigen deutschen Klischees und Vorurteilen passt, bezweifelt nicht nur er. Bei allem möchte er aber in seinem deutschen Leben eine gewisse Tradition pflegen, denn »die Wurzeln meiner Herkunft sollen nicht vergessen werden.« Sinan Terzioglu erinnert sich gut an den türkischen Unterricht, den er neben dem normalen Schulunterricht zweimal die Woche besuchte. Dieses war wie ein individueller Geschichtsunterricht. Daraus zog er die Erkenntnis, dass »Geschichtsbewusstsein eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Entscheidungen die heute für morgen getroffen werden, richtig einordnen zu können.«
Diese Kenntnisse vermisst er oft nicht nur bei den türkischen Mitbürgern. Auch »seine deutschen Landsleute besitzen wenige Einblicke in die eigene oder andere Kultur«, bemängelt er und ergänzt »von diesem Makel ist sogar die mediale Berichterstattung in Deutschland befallen, in der viele Ereignisse einseitig wiedergegeben werden. Ich sehe das aber aus verschiedenen Blickwinkeln und erlebe die Situation bei meinen Besuchen in der Türkei selbst vor Ort. Dann gibt es auch andere Argumente«. Grundsätzlich gelte, dass die Kommunikation nicht abreißen darf: »Wichtig ist es, dass die Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander sprechen.«
Und daher seien auch die vielen Restaurants mit verschiedenen nationalen Küchen Orte des Dialogs. Einen kleinen Beitrag dazu will er mit seinem Restaurant »Schwarzes Meer« leisten. Sein Großvater Hasan Cakir, nun 92 Jahre alt verfolgt dies aus der Ferne.
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