Serie: Die Drogen und die Folgen im Viertel
Wir leben gerne in unserem internationalen Viertel. Einträchtig zusammen mit fast 15.000 Menschen aus 148 Nationen auf engem Raum von nur 1,3 Quadratkilometer. Trotzdem wird manchmal der gesellschaftliche Zusammenhalt auf die Probe gestellt. Zum Beispiel durch die Nutzer des Worringer Platzes. Dies liegt nicht an der Gestaltung des Platzes, wie manche Vertreter aus Politik und Verwaltung vorgeben. Es liegt daran, weil ein grundlegendes Problem unsere Gesellschaft von der Politik und Verwaltung nicht professionell genug angegangen wird. Es geht um das Drogenproblem unter der jetzigen Gesetzeslage. Wir publizieren zu dieser Thematik Artikel, die sich aus unterschiedlichem Blickwinkel mit diesem Thema befassen. Erschienen sind bislang: Ein Platz, den keiner will wie er ist. Trotzdem ändert sich nichts! Wieder: kein Platz am Worringer Platz und Die Drogenhilfe // Ein Interview mit Michael Harbaum
Wer an das Bahnhofsviertel rund um die Friedrich-Ebert-Straße bis hin zur Stresemannstraße denkt, denkt an graue Ecken und dunkles Treiben: Drogenabhängigkeit, Alkoholkonsum, Unsicherheit und ein reges kriminelles Aufkommen. Das Sicherheitsgefühl gilt im Bahnhofsviertel als eingeschränkt. Für eine genauere Betrachtung haben wir uns mit Dr. Tim Lukas zum Interview getroffen.
D-Mitte: Herr Lukas Sie arbeiten aktuell an einer Studie, die die Sicherheit im Bahnhofsviertel vergleichend untersucht. Was beinhaltet die Studie genau?
Dr. Lukas: Wir untersuchen Sicherheit und Sicherheitsgefühle in den Bahnhofsvierteln der Städte Düsseldorf, Leipzig und München. Ausgehend von einer stadtstrukturellen Zentralität, der hohen Anonymität und dem sozialen Wandel im Bahnhofsumfeld wird allgemein von einer erhöhten Unsicherheit ausgegangen. Bahnhofsviertel sind traditionell durch einen eher schlechten Ruf geprägt, der in vielen Städten durch zunehmende Aufwertungsbemühungen umgekehrt werden soll. Hierzu führen wir an den Universitäten Tübingen und Wuppertal das Projekt SiBa zur Sicherheit im Bahnhofsviertel durch.
D-Mitte: Wie sieht das Sicherheitsemp]finden speziell am Düsseldorfer Bahnhof und den angrenzenden Stadtvierteln aus?
Dr. Lukas: Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass hier mehr die Bewohner aus anderen Teilen der Stadt von kriminalitätsbezogenen Furchtgefühlen eingeholt werden und sich unsicher fühlen. Die befragten Anwohner antworteten meist aufgeklärter und weniger ängstlich.
D-Mitte: Glauben Sie, dass die Düsseldorfer Anwohner sich mit der Situation bereits abgefunden haben?
Dr. Lukas: Ich denke, dass die einen zumindest Wege der Akzeptanz für sich erschlossen haben oder die Diversität des Viertels als besonders reizvoll wahrnehmen und andere sich aufgrund von Sprachbarrieren oder wegen einer größeren Distanz zu den Behörden gar nicht erst bemerkbar machen. Wir sehen aber auch wachsende Beschwerden, die mit einer veränderten Bevölkerungsstruktur und der Konzentration sozialer Problemlagen an bestimmten öffentlichen Plätzen zusammenhängen.
D-Mitte: Was glauben Sie, warum sich viele soziale Probleme gerade hier im Bahnhofsviertel bündeln?
Dr. Lukas: Grundsätzlich bietet der Bahnhof eine Art der Anonymität und des Massenaufkommens. Hier kreuzen sich tagtäglich die Wege von vielen Tausend Menschen. Allein die Erfolgsquote von Bettelgeschäften ist daher vielversprechend. Dazu kommt die gute Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs und die Zentralisierung sozialer Angebote im Bahnhofsumfeld. Auf einer vergleichsweise geringen Fläche finden sich mehrere Substitutionspraxen, der Drogenkonsumraum, die Diamorphinambulanz und verschiedene Tages- und Notschlafangebote. Gleichzeitig regelt die Nachfrage das Angebot und so finden sich zahlreiche Dealer in der Nähe ihrer Kunden, die sich wiederum in der Nähe der Angebote aufhalten.
D-Mitte: In einem anderen Interview mit Herrn Dr. Lamprecht sagte er uns, dass der Standort der Diamorphinambulanz besser nicht sein könnte. Bei einer Substitutionstherapie ginge es speziell um kurze Anfahrtswege für Betroffene.
Dr. Lukas: Da schließe ich mich Herrn Lamprecht an und möchte zugleich die Bedeutung von Angeboten in den einzelnen Stadtvierteln betonen. Für eine suchterkrankte Person kann es unter Umständen sehr beschwerlich sein, von Garath oder aus anderen Stadtgebieten zum Bahnhof zu pendeln, um dort angemessen therapiert zu werden.
D-Mitte: Damit könnte ein Konzept der Entzerrung eine konkrete Handlungsempfehlung sein, oder?
Dr. Lukas: Die Ergebnisse der Studie werden erst im Laufe des Jahres übergeben, aber sicherlich könnte ein verteiltes Angebot einen Teil der entsprechenden Personen dazu bringen, sich eher dezentral aufzuhalten. Auch der Drogenhandel würde sich auf diese Weise entzerren. Zudem wird sich in den nächsten Jahren baulich einiges im Bahnhofsviertel ändern. Stärkere Verdrängungsprozesse sind dabei zu erwarten, die sich nur dann steuern lassen, wenn auch konkrete Angebote an anderen Orten gemacht werden.
D-Mitte: Sie sind selbst Düsseldorfer, was würden Sie sich für eine Verbesserung im Viertel wünschen?
Dr. Lukas: Verdrängung betrifft ja nicht nur die Straßenszenen. Auch kulturelle und gewerbliche Angebote und nicht zuletzt die Anwohner geraten durch die Dynamik der Aufwertung unter einen zunehmenden Verdrängungsdruck, der die Unsicherheit im Bahnhofsviertel erhöht. Bei der zukünftigen Entwicklung des Viertels sollten daher verstärkt Wege eingeschlagen werden, die die verschiedenen Sicherheitserwartungen der unterschiedlichen Interessensträger ernst nehmen und vermitteln. Dazu braucht es mehr aufsuchende Formate ebenso wie Räumlichkeiten, die Begegnung und Austausch im Bahnhofsviertel überhaupt erst ermöglichen.
Das Interview führte Melissa Christov