Filmreihe im Filmmuseum Düsseldorf vom 7. bis 27. April
Ist der Dokumentarfilmer stets ein Zeuge von Handlungen, Ereignissen oder Phänomenen der Zeitgeschichte, spürt er doch auch konkreten zeitlichen Konstanten nach. In der Gegenwart liegt die Vergangenheit begraben und nur die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen lässt einen Blick in die Zukunft zu. Mit der Dokumentarfilmreihe „Das Vergangene im Gegenwärtigen“ bietet das Filmmuseum eine Plattform für acht hochaktuelle Dokumentarfilme, die auf unterschiedliche Art und Weise bestimmte Themen, Ereignisse und Materialien der Vergangenheit in die Gegenwart bringen.
Zur Eröffnung der Reihe am Samstag, 7. April, 20 Uhr, werden die beiden Filmemacher Christoph Hübner und Gabriele Voss ihren Film „Nachlass“ im Rahmen einer Sondervorstellung zeigen. Im Zentrum stehen die Nachkriegsgenerationen und das Erbe der Kriegs- und Nazizeit. In der Sondervorstellung „Nachlass/Passagen“ zeigen sie zudem kurze Filme, die als Material aus dem Film herausgeschnitten wurden und als eigenständige Stücke den Film ergänzen und vertiefen.
Die weiteren Erstaufführungen sind zugleich politisch hochaktuell, zeugen aber auch von einer persönlich-biographischen Perspektive. So porträtiert die rumänische Regisseurin Ana Dumitrescu in „Licu – A Romanian Story“ den 92-jährigen Licu, dessen Leben geprägt ist von zentralen historischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. In „Nach der Zukunft“ schildert der HIV-positive Aktivist Ortwin Passon, wie seine Gegenwart durch die Diagnose aus den Fugen geriet. Passon wird dem Publikum an beiden Spielterminen für Gespräche zur Verfügung stehen. „Muhi – Generally Temporary“ stellt den aus Gaza stammenden siebenjährigen Muhi vor, der sein ganzes Leben in einem israelischen Krankenhaus verbringen musste, dessen Entlassung aber kurz bevorsteht. „Spell Reel“ hingegen weitet die Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart auf einen globalen Rahmen aus: So folgt Filipa César den Spuren eines wieder aufgetauchten Film- und Tonbandarchivs nach Guinea-Bissau. In „Eldorado XXI“, einem Diptychon von Salomé Lamas, wird der peruanische Ort La Rinconada – auf über 5.000 Metern Höhe in den Anden und am Rande einer Goldmine gelegen – zum unwirtlichen Zufluchtsort und zur Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die Filmreihe enthält mit „Jenseits des Krieges“ – einer Konfrontation von Zeitzeugen und Nachkommen mit den Verbrechen der Wehrmachtssoldaten – sowie mit „Workingman’s Death“ – einer Untersuchung von Orten und Produktionsstätten körperlicher Schwerstarbeit – zwei Werke aus der jüngeren Vergangenheit, die hinsichtlich der Frage nach dem Vergangenen im Gegenwärtigen vor allem stilistisch maßgebend sind. Alle ausgewählten Filme dokumentieren in ihrer Narration über das „Jetzt“ eine Geschichte, die Historisches in den Blick nimmt, um über die Gegenwart nachzudenken.
Filmprogramm
Samstag, 7. April, 20 Uhr
„Nachlass“
D 2017, 108 Min., DF, DCP, ab 18 Jahren, Regie/Drehbuch: Christoph Hübner, Gabriele Voss
Man sagt, die Nachkriegsgenerationen tragen zwar keine Schuld, aber die Verantwortung dafür, dass „so etwas“ sich nicht wiederholt. Im Zentrum des Films stehen Menschen, die nach dem Krieg geboren wurden und oft schon der zweiten oder dritten Nachkriegsgeneration angehören. Ihre Väter oder Großväter waren Täter, Mitläufer oder Opfer. Sie alle befassen sich mit ihrem Erbe, so vor allem mit der Geschichte der eigenen Familie.
Christoph Hübner und Gabriele Voss werden anwesend sein.
Sonntag, 8. April, 15 Uhr
„Jenseits des Krieges“
A 1996, 117 Min., DF, 35mm, ab 18 Jahren, Regie: Ruth Beckermann, Kamera: Peter Roehsler
Im Film von Ruth Beckermann und Peter Roehsler begegnet das Publikum Zeitzeugen und Nachkommen ehemaliger Wehrmachtssoldaten, die in Wien im grellen Licht eines Ausstellungsraums Stück für Stück mit einer Dokumentation der Verbrechen der Wehrmacht konfrontiert werden. Es entstehen Diskussionen darüber, was und wie die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ das Thema darstellt und behandelt.
Sonntag, 8. April, 17.30 Uhr sowie Freitag, 13. April, 19 Uhr
„Licu – A Romanian Story“
RO 2017, 87 Min., OmeU, DCP, ab 18 Jahren, Regie/Drehbuch: Ana Dumitrescu
Der 92-jährige Licu erzählt – gezeichnet von zentralen historischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts – seine Geschichte: Weltkrieg, Vertreibung, die Industrialisierung und Überwachung durch den rumänischen Politiker Nicolae Ceausescu, die Revolution von 1989 und der korrupte Post-Kommunismus am Rande der EU. Die 92 Jahre Lebenszeit sind geprägt von Liebe, Leid, Lachen und Tränen. Die Dokumentation spiegelt große Weltereignisse anhand der Biografie einer Persönlichkeit, die in hohem Alter angekommen über die Vergangenheit reflektiert.
Mittwoch, 11. April, 20 Uhr sowie Sonntag, 15. April, 15 Uhr
„Nach der Zukunft“
F 2016, 116 Min., OmU, DCP, FSK 12, Regie/Drehbuch: André Krummel, Kamera: Raphaela Te Pass, Darsteller: Ortwin Passon, Mads Elung-Jensen, Rüdiger Lautmann u. a.
Wie fühlt sich Gegenwart an, von der man dachte, dass man sie nicht mehr erleben würde? Ortwin Passon ist HIV-positiv, hat 1995 seinen letzten festen Freund zu Grabe getragen und arbeitet seit einer Weile an einer Dissertation über „Barebacking“, der politischen und strafrechtlichen Relevanz von ungeschütztem Analverkehr unter Männern in Deutschland. Für Passon sowie viele seiner Freunde und Bekannten sind die Fragen nach der eigenen Freiheit und Selbstbestimmung auf besondere Weise existenziell.
Ortwin Passon wird anwesend sein.
Vorfilm: „Spielfeld“
D 2017, 24 Min., OmU, DCP, ab 18 Jahren, Regie: Kristina Schranz, Drehbuch: Kristina Schranz, Carina Zech, Kamera: Caroline Spreitzenbart, Darsteller: Lidija Djuric, Sermijete Iseni, Karl Sternad u. a.
Im Winter 2015 durchqueren über hunderttausend Flüchtlinge unkontrolliert den Ort Spielfeld an der österreichisch-slowenischen Grenze. Die Regierung präsentiert daraufhin medienwirksam ihr „modernes Grenzmanagementsystem“. Doch seit die Balkanroute geschlossen wurde, kommt kein Flüchtling mehr in Spielfeld an. Übriggeblieben sind menschenleere Zelte, ein lückenhafter Zaun im Wald und die Dorfbewohner. Wie gehen sie damit um, dass ihr Tausend-Seelen-Dorf wortwörtlich zum „Spielfeld“ ratloser Flüchtlingspolitik geworden ist?
Der Vorfilm wird durch die Cinema for Peace Foundation unterstützt. Der Eintritt ist frei.
Freitag, 13. April, 21 Uhr sowie Sonntag, 29. April, 15 Uhr
„Spell Reel“
D/P 2017, 96 Min., OmU, DCP, ab 18 Jahren, Regie: Filipa César, Drehbuch: Sana na N’Hada, Kamera: Jenny Lou Ziegel
2011 taucht in Bissau ein Film- und Tonbandarchiv wieder auf. Kurz vor dem Zerfall, zeugt das Material noch immer von den Anfängen des Kinos in Guinea als Teil des Dekolonisierungsprozesses, wie ihn sich der 1973 ermordete Befreiungskämpfer Amílcar Cabral vorgestellt hatte. Gemeinsam mit den guineanischen Filmemachern Sana na N’Hada und Flora Gomes sowie vielen anderen, hat Filipa César sich auf eine Reise begeben, auf der diese Bruchstücke aus der Vergangenheit in die Gegenwart überführt werden und sich zu einem visionären Prisma verwandeln.
Sonntag, 15. April, 11.30 Uhr sowie Freitag, 27. April, 19 Uhr
„Muhi – Generally Temporary“
D/IS 2017, 89 Min., OmU, DCP, FSK 12, Regie: Rina Castelnuovo, Tamir Elterman, Kamera Rina Castelnuovo, Tamir Elterman, Oded Kirma, Avner Shahaf, Darsteller: Muhammad El-Farrah, Hamuda Abu Naim El Farrah, Buma Inbar u. a.
Um zu überleben, musste Muhi nach seiner Geburt aus Gaza in ein israelisches Krankenhaus gebracht werden. Begleiten durfte ihn nur sein Großvater Abu Naim. Mit zwei Jahren verschlimmert sich sein Zustand dramatisch und die Ärzte sind gezwungen, seine Gliedmaßen zu amputieren. Muhi richtet sich ein: mit künstlichen Armen und Beinen, im Kreis seiner liebevollen Betreuer, zwischen seiner Heimat und seinem Zuhause.
Der Film wird durch die Cinema for Peace Foundation unterstützt. Ein Vertreter der Produktionsfirma wird anwesend sein. Der Eintritt ist frei.
Sonntag, 15. April, 17.30 Uhr sowie Freitag, 27. April, 21 Uhr
„Eldorado XXI“
P/F 2016, 125 Min., OmeU, DCP, ab 18 Jahren, Regie/Drehbuch: Salomé Lamas
Atemberaubende Panoramaaufnahmen zeigen eine majestätische winterliche Berglandschaft, flache Blechhütten, die sich aneinander ducken sowie Frauen, die am Steilhang mit primitivem Werkzeug Geröll zerschlagen. La Rinconada liegt auf über 5.000 Metern Höhe in den peruanischen Anden am Rande einer Goldmine. Das Eldorado des 21. Jahrhunderts ist ein unwirtlicher Ort, in dem unzählige Menschen in der Hoffnung auf Gold und ein besseres Leben unter prekärsten Bedingungen arbeiten und hausen.
Sonntag, 22. April, 15 Uhr
Workingman’s Death““
A/D 2005, 122 Min., OmU, 35mm, FSK 16, Regie/Drehbuch: Michael Glawogger, Kamera: Wolfgang Thaler
In der Ukraine, Indonesien, Nigeria, Pakistan und China untersucht Michael Glawogger Orte, an denen noch schwerste körperliche Arbeit stattfindet. So ist der Dokumentarfilm in fünf Episoden unterteilt. Er endet mit einer Nachschrift in einer stillgelegten Schmelzhütte, einem ehemaligen Stahlwerk in Duisburg, in dem mittlerweile ein Freizeitpark von Jugendlichen bevölkert wird. Der Film wird von der Cinema for Peace Foundation unterstützt.
Sonntag, 22. April, 17.30 Uhr
„Nachlass/Passagen“
D 2018, 70 Min., DF, DCP, ab 16 Jahren, Regie/Drehbuch: Christoph Hübner, Gabriele Voss
Der ursprüngliche Gedanke des Projekts: eine filmische Topografie. Wie lebt die Vergangenheit in der Gegenwart – mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach mehreren Jahren Arbeit entstand der Kinofilm „Nachlass“ und viel interessantes Material blieb übrig. Die Regisseure Christoph Hübner und Gabriele Voss präsentieren eine Auswahl dieser kurzen Filme, die sie „Nachlass/Passagen“ nennen. Das Motto dieser „Passagen“: Wie wird erinnert? Wie kann und was darf auf keinen Fall vergessen werden?
Christoph Hübner und Gabriele Voss werden anwesend sein.
Text: Julia Robl